Die geplante neue Produkthaftungsrichtline der EU-Kommission hat es in sich – schärfer, komplexer, teurer
Die Produkthaftung sind vom Gesetzgeber gewollte verschuldensunabhängige Anspruchsgrundlagen, damit Verbraucher eine Entschädigung einfordern können, wenn sie durch fehlerhafte Produkte geschädigt werden.
Nach dem Willen der EU-Kommission wird diese Haftung verschärft, komplexer, umfangreicher und auf mehr Wirtschaftsakteure ausgeweitet.
Die 7 Verschärfungen der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie für Händler, Quasi-Hersteller, Hersteller, Importeure und Dienstleister von Produkten?
1. Produkthaftung nun für alle(!) Produkte – auch mit Murmeltierschleife
Die überarbeitete Produkthaftungsrichtlinie wird zukünftig für alle(!) Produkte gelten. Neu ist insbesondere, dass ausdrücklich auch Software, KI (AI) und Updates der Haftung unterliegen.
Es wird dabei keine Rolle spielen, ob der Schaden durch eine produktintegrierte Software bzw. ein fehlerhaftes Update, ein KI-System oder ein eigenständiges Softwareprodukt entsteht. Die Produkthaftung erfasst auch rein digitale Produkte, wie z. B. Gesundheitsapps oder digital-health Produkte.
Im Kern wird damit die Haftung nur für die Fehlerhaftigkeit beim Inverkehrbringen aufgeweicht. Wer sein Produkt mit Hilfe einer Software weiter kontrollieren kann, den trifft die Produkthaftung mit jedem erforderlichen bzw. unterlassenem Update oder Upgrade auch nach dem Inverkehrbringen immer wieder.
2. Produkthaftung auch für aufbereitete und veränderte Produkte
Zur Berücksichtigung der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft werden in den neuen Vorschriften Regelungen für Refurbished-Produkte aufgenommen.
Die Produkthaftung gilt somit für Unternehmen der Kreislaufwirtschaft, die „alte“ Produkte aufarbeiten, aufbereiten oder mit neuen Bauteilen verändern bzw. aktualisieren (Remanufacturing).
Auch wer ein Produkt im Sinne des Produktsicherheitsrechts „wesentlich verändert“, haftet verschuldens(un)abhängig wie ein Hersteller oder Produzent.
3. Produkthaftung für mehr Schadenarten
Die bisherige Haftung gilt nur für Sachschäden und Personenschäden durch fehlerhafte Produkte. Die neue Produkthaftung sieht künftig auch eine Entschädigung für Datenverluste und Schäden durch Datenveränderung vor.
Das dürfte insbesondere den Schadenersatz für Schäden an auch beruflich genutzten Sachen beeinflussen.
Außerdem sichert die klassische Produkthaftpflichtversicherung nur Sach- und Personenschäden ab. Reine Vermögensschäden sind nicht versichert.
4. Produkthaftung für Schäden an privaten und an beruflich genutzten Sachen
Neu ist, dass die Haftung nicht mehr nur für Sachen zur rein privaten Nutzung gelten soll, sondern darüber hinaus für Sachen, die auch beruflich genutzt werden.
Das Lasten-Job-Rad, das Firmen-Handy oder das Firmen-Notebook im Homeoffice werden somit vom Schutz des Produkthaftungsgesetzes erfasst.
5. Amerikanisierung der Produkthaftung
Die Hersteller werden nach amerikanischem Vorbild dazu verpflichtet, alle Informationen zum Produkt und dessen Herstellung offen zu legen, um den Geschädigten die Beweislast zu erleichtern.
Unternehmen können damit gezwungen werden, z.B. Konstruktionsunterlagen oder Erkenntnisse aus der Produktbeobachtung herauszurücken. Anderenfalls verlieren sie ggf. den Prozess automatisch, weil die Fehlerhaftigkeit des Produkts gesetzlich angenommen wird.
Wer eine Produkthaftpflichtversicherung für seinen Betrieb einkaufen möchte, für den werden im Underwriting deshalb Themen wie „Lieferketten und Qualitätssicherung“ an Bedeutung gewinnen.
Für KI-Produkte werden die Offenlegungspflichten für Beweismittel und die Beweiserleichterungen zu Gunsten der Kläger im Zusammenspiel mit der neuen KI-Haftungsrichtlinie zusätzlich erweitert.
6. Unbegrenzte Haftung ohne Selbstbehalt
Die bestehende Haftungshöchstgrenze von 85.000.000 Euro wird entfallen, so dass die Produkthaftung unlimitiert ist. Die Produzentenhaftung sieht schon immer eine unbegrenzte Haftung vor.
Wegfallen wird auch der Selbstbehalt für Sachschäden in Höhe von 500 Euro.
7. Ausweitung der Haftung auf weitere Wirtschaftakteure
Bereits nach dem geltenden Produkthaftungsgesetz haften Importeure wie Hersteller für fehlerhafte Produkte, die außerhalb der EU bzw. des EWR hergestellt wurden.
Was ist aber, wenn der Verbraucher das Produkt direkt im Ausland bestellt hat?
Geschaffen wird daher die Pflicht zur Stellung eines „Vertreters für die Produkthaftung“ für nicht in der EU ansässige Hersteller. Analog zur Medizinprodukterichtlinie wird zur Folge haben, dass grundsätzlich ein in der EU ansässiger Repräsentant des Nicht-EU-Herstellers vorhanden muss. Der EU-Repräsentant muss für den Nicht-EU-Hersteller haften.
Beibehalten wird, dass auch Händler (Offline, Online, und E-Commerce) haftbar gemacht werden können. Das gilt auch für Online-Marktplätze, Fulfillment-Dienstleister und andere Plattformen, wenn sie dem Verbraucher gegenüber als Händler auftreten oder so angesehen werden können.
Die Haftbarmachung soll zum Schutz der Verbraucher möglichst lückenlos sein und daher in der Wertschöpfungskette immer mindestens einen Wirtschaftsbeteiligten treffen, der im Rahmen seiner kommerziellen Aktivitäten:
- Produkte als Erster auf dem EU-Markt bereitstellt
- Produkte auf dem EU-Markt zur Verteilung, zum Konsum oder zum Gebrauch auch unentgeltlich verfügbar macht
- Produkte auf dem EU-Markt in Dienst stellt
- Produkte herstellt oder quasi-herstellt
- Komponenten oder Dienstleistungen zum Produkt zuliefert
- als EU-ansässiger Repräsentant die Produkthaftung des Herstellers verantwortet
- Produkte aus einem Drittland als Importeur in die EU einführt
- Produkte als Fulfillment-Dienstleister lagert, verpackt, etikettiert, versendet
- Produkt verkauft oder verteilt ohne Hersteller, Importeur oder Repräsentant zu sein
Welche Konsequenzen hat die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie für die Produkthaftpflichtversicherung?
Die Verschärfung und Ausweitung der Haftung führt zu neuen Anforderungen an das Risikomanagement, das Qualitätsmanagement und das Underwriting für Produkthaftpflichtversicherungen.
Überdacht werden muss der Versicherungsschutz für Betriebe mit Produkten, die digitale Technologien enthalten. Das gleiche gilt für Betriebe aus dem Handwerk und für alle Betriebe mit technischen Dienstleistungen.
Der Prüfung von Qualität und Sicherheit wird im Underwriting an Bedeutung gewinnen:
- Welche Tätigkeiten werden im Detail und durch wen erbracht?
- Welche Erzeugnisse und Produkte werden in den Verkehr gebracht?
- Wie erfüllt der Versicherungsnehmer seine Kardinalpflichten als Hersteller?
- Wie sicher sind das Produkt, die Teilprodukte und die Zulieferungen?
- Wie sicher sind die Prozesse?
- Wie sieht das Qualitätsmanagement aus?
- Welches Haftungsrisiko haben Produktfehler in der Lieferkette?
- Wie ist das Riskmanagement nach Inverkehrbringen strukturiert?
Die Einführung vieler weiterer Rechtsvorschriften für Künstliche Intelligenz, Maschinen, Funkanlagen und die allgemeine Produktsicherheit sorgt für zusätzliche Komplexität in der Beratung der Versicherungsnehmer.
Wer berät mich zur Anpassung meiner Produkthaftpflichtversicherung an die neue EU-Richtlinie?
Genauso wie Du Dich in einem Strafprozess allein vor Gericht verteidigen kannst, so kannst Du auch selbst versuchen, Deinen Versicherungsschutz direkt bei einer Versicherung einzukaufen.
Du kannst aber auch einen Spezialisten einschalten, der das individuelle Risiko analysiert, zum Risikomanagement berät, den Underwriting-Prozess professionell begleitet und den Versicherungsvertrag nachhaltig betreut.
Vorhandene Versicherungsverträge und die Versicherungsbedingungen (Wording) sollten überprüft werden.
Weniger zielführend ist für Dich der Kauf einer Versicherung über (Selbst-) Rechner oder Callcenter im Internet. Versicherungen sind komplexe Rechtsprodukte und keine Turnschuhe. Ob der Versicherungsschutz für Dich gepasst hat, merkst Du erst im Schadenfall – doch dann ist es zu spät.
Die steigende Komplexität macht eine sorgsame und ausführliche Analyse und Erfassung des Betriebes, der Produkte, der Lieferanten und der Kunden erforderlich.
Wenn Du eine Versicherung „falsch“ anfragst, bekommst Du entweder nicht das richtige Angebot oder eine praktisch unwiderrufliche Ablehnung.
Hast Du auch an die Unterstützung im Schadenfall gedacht? Bei steigenden Belastungen durch neue Schadenaufwendungen darf mit einer restriktiveren Deckungsprüfung der Versicherer gerechnet werden.
Nur der Versicherungsmakler steht auf Deiner Seite. Er ist Dein erster Ansprechpartner und Helfer im Schadenfall!
Wedel, 05.11.2023, Dipl.-Kfm. Christian Fuchs ist der „Versicherungs-Fuchs“ für Produkthaftpflichtversicherungen und staatlich geprüfter Haftpflicht-Underwriter (DVA)
Verschärfte Produkthaftung